Brief des Arztes Dr. Paul Schenke von Nordhausen (Thüringen), nach Fotoalbum seit 1903 Besitzer eines Autos, an seinen
Freund, den Kautabakfabrikanten Rudolf Kneiff aus Nordhausen (Thüringen), Autobesitzer und Autofahrer seit 27. Januar 1904.
Darin in Gedichtform die Beschreibung des ersten gemeinsamen Autoausfluges (Fotos im zugehörigen Album) am 28. März 1904.

Foto Brief 1904

Foto Auto Rudolf Kneiff 1904
Foto aus zugehörigem Fotoalbum von Rudolf Kneiff, Nordhausen in Thüringen





Wiedergabe des Briefes

N. 28. Mai 1904



Zur Erinnerung an unsere erste gemeinsame Autoausfahrt.
am 28. März 1904



Bergan strebt fauchend das Automobil.
Steigerthal liegt dahinter. Buchholz ist Ziel.
Elegant steuert Rudolf, Fritz sieht es mit Staunen;
Im Hintergrunde: die Holden, die Frauen.
Ziert das Veilchenbunt Marthchen (und sonstige Hüllen),
schmückt Annchen die Brillen.

Da plötzlich am Horizont ein Blinken!
Zwei Wagen stehen zur rechten und linken;
Vier wilde Pferde, zwei wildere Männer
versperren den Weg dem Selbstkraftrenner.
Sie sind nicht geneigt jetzt, Platz zu machen;
Und der Ältere hat auf bezügliche Fragen
nur die Antwort, mit hoheitsvoller Geberde:
"Mir laden hier Erde!"

Nach mancherlei Reden und Zanken und Streit
bequemt sich der Bauer endlich soweit,
nicht allzu behend, nein, mit Würgen und Hängen
die unruhigen Gäule abzudrängen.
Nicht leise geschieht's! Manch kräftiger Spruch
entflieht seinem Munde und mancher Fluch.
Seine Meinung sagt er ganz unverhohlen:
"die verfluchten Dinger der Diwel soll holen!"

"Und Sie mit!" aus dem Auto promt erschallt.
Und nun mit Sanftmut und mit Gewalt,
Mit "Aho" und "Oha" und mit "Hott" und mit "Hü",
gelingt es endlich nach endloser Müh
nach viertelstündigem heißen Ringen,
das erste Gespann hinter's Auto zu bringen.
Durch Schimpfen der Bauer sein Recht glaubt zu wahren:
" Skandal, hier so dummdreist drauf los zu fahren."

"Wer sind Sie denn eigentlich, guter Freund,
bei dem Großmaul und Dickschädel trefflich vereint?"
"Wer ich bin? Ein Bauer und arbeite wacker"
Bin Hermann Knoblauch aus Hermannsacker."
Und dann weiter mit hoheitsvoller Geberde,
zu seinem Begleiter:"Nun bring' du die Pferde.
"Doch den woll'n mir's zeigen, die so uns reizen;
"Merk, Hermann, die Nummer: M813."

Und endlich gelingt es mit Stoßen und Streicheln,
auch das zweite Paar Gäule vorbeizuschmeicheln.
Und wie's Auto sich regt und vorwärts fliegt,
ist alles beruhigt, nur einer nicht:
Nur Hermann Knoblauch kommt nicht zur Ruh';
In ihm kocht's, in ihm brodelt's:" Fahr'n Sie nur zu!
Ich, Hermann Knoblauch, werde sie fassen:
Nicht einmal Dampf habe'n sie abgelassen!"



Anmerkung:

Das Gedicht zum Autoausflug zeigt nicht nur das Verhältnis der 'Herrenfahrer' zum normalen Bürger, es beschreibt auch zwischen
den Zeilen, dass Autos 1904 noch so unbekannt waren, dass der Bauer in ihm ein dampfmaschinengetriebenes Fahrzeug vermutete,
da er noch nichts von Benzinmotoren gehört hatte, dampfgetriebene Traktoren allerdings bereits verbreitet waren. Aus Sicherheits-
gründen musste bei unter Feuer stehenden aber nicht bewegten Dampfmaschinen ständig Dampf abgelassen werden, da ansonsten
die Gefahr bestand, dass der Druck im Kessel so anstieg, dass er explodierte. Letztlich war diese Gefahr bei Dampffahrzeugen so real,
dass dies die Ursache der Pflicht zur TÜV (heute auch TÜA, Dekra etc.) Untersuchung war, die damals vom Dampfkessel-Überwachungs-
verein, aus dem der TÜV entstand, vollzogen wurde.
Diese grobe Gefärdung von sich, seinem Gehilfen und seiner Pferde glaubte der Bauer Hermann Knoblauch aus Herrmannsacker zu
erkennen, weshalb er Folgen, also Anzeige, androhte und sich das Kennzeichen merkte.
Der Ärger des Bauern war daher aus seiner Sicht durchaus gerechtfertigt. Ließ das nach seiner Meinung dampfgetriebene Fahrzeug den
durch das Einstellen des Dampfverbrauchs ansteigenden Druck nicht ab, so drohte der Kessel zu explodieren, was verheerende Folgen
gehabt hätte. Ließ er allerdings den Druck ab, was von agressivem Zischen begleitet wäre, so wären seine offenbar ohnedies bereits
scheuenden Pferde durchgegangen und er mit deren Beruhigen und Einfangen Stunden beschäftigt gewesen, sofern sich die Pferde
dabei nicht sogar verletzt hätten oder beteiligte Personen oder das Auto zu Schaden gekommen wären. Ein Durchgehen der Pferde war
durchaus auch denkbar, obwohl es sich eben nicht um ein Fahrzeug mit Dampfmaschinenantrieb, sondern mit Benzinmotor gehandelt
hatte. Daher bezeichnete der Bauer den Fabrikanten wohl auch als dummdreist, weil er mit seinem, die Pferde scheu machenden
Fahrzeug so rücksichts- und gedankenlos dicht an die Pferde herangefahren war. Die Schadensmöglichkeit aus der Begegnung war
daher für den Bauern nicht gering.
Der Spott des Dichters fällt auf ihn selbst zurück und belegt nicht nur die Unerfahrenheit des Bauern bezüglich der ihm noch unbekannten
Autos, sondern vor allem die Naivität des Arztes, so weit es um das Verhalten von Tieren geht. Er hatte doch selbst beschrieben, wie
schwierig es war, die Pferde an dem Auto vorbei zu führen, weil sie Angst vor ihm hatten.

Continental Straßenkarte Nordhälfte Deutschland (ca. 200km um Hannover), aus dem Besitz von Rudolf Kneiff.
Führerschein von aus dem Besitz von Rudolf Kneiff, der die Fahrprüfung bereits am 27. Januar 1904, vor Einführung einer

Führerscheinpflicht bestand. Der Führerschein wurde dann nach Einführung der entsprechenden Pflicht ab 03. Mai 1909 am 5. Juli 1910 ausgestellt.

Fotoalbum aus dem Besitz von Rudolf Kneiff, Aufnahmen von Autoausflügen, beginnend 1903 und endend 1934


© horst decker

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